Failure Futures Fabrications
Failure Futures Fabrications
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Paravent ist eine Videoausstellung, die über extraktiven Kapitalismus, verführerische Fake News, Erinnerungen aus der Zukunft, abgelegene militarisierte Küstenlandschaften, queere Sexualität und Liebe erzählt.



Mit Filmen von TJ Cuthand, Matthew Arthur Williams, Andrew Black, Maxim Franks & Alice Escher und einem Paravent sowie anderen nutzbaren Objekten von Anna Kaufmann, Nele Lübbert, Antonia Breme & Martin Flemming.
Der Paravent wird von Katja Stoye-Cetin's Arbeiten ergänzt.


Paravent is a video exhibition that tells about extractive capitalism, seductive fake news, memories from the future, remote militarized coastal landscapes, queer sexuality and love.
With works by TJ Cuthand, Matthew Arthur Williams, Andrew Black, Maxim Franks & Alice Escher and a paravent as well as other usable objects by Anna Kaufmann, Nele Lübbert, Antonia Breme & Martin Flemming.
The Paravent is extended by Katja Stoye-Cetin's works.


Failure Futures Fabrications
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[Bildbeschreibung: Foto Dokumentation von Paravent: In einem großen Raum stehen mehrere Paravents. Manche offen, manche geschlossen. Sie sind aus Holz und werden von Gewindestangen in Form gehalten. In den offenen Paravents hängen rosa Buntpapier Scherenschnitte und Magazinhalter aus Aluminium Rohr. Auf ihnen hängen lilane Skripte der Videos. Zwei Bildschirme hängen über Eck an der Wand. auf ihnen fünf verschiedene Videos.  Zwischen ihnen steht ein blauer gedrechselter Kopfhörerhalter. Eine Lampe aus armierungsstahl und Funier, sieht aus als würde sie durch den Raum laufen. Im Hintergrund eine Tür nach draussen, eine Rampe, ein Tisch mit Stühlen, Eine Bar.]

[Image description: Photo documentation of paravent: There are several paravents in a large room. Some open, some closed. They are made of wood and are held in shape by threaded rods. Pink colored paper silhouettes and magazine holders made of aluminum tubing hang in the open screens. Purple scripts of the videos hang on them. Two screens hang across the corner on the wall. on them five different videos. Between them is a turned blue headphone holder. A lamp made out of reinforcment rods and veneer, looks like it is walking through the space. In the background a door to the outside, a ramp, a table with chairs, a bar.]

Der Paravent ist ein Objekt, das den Wind abhält, einen Raum schafft, in dem die Luft stillsteht und der vor Blicken schützt. In der Ausstellung hat der Paravent eine doppelte Funktion, er markiert einen Raum in einem gemeinsamen Raum, trennt ab und betont zugleich. Es gibt ihn auch in durchlässiger Form, als haltendes Element, das den Raum dahinter zeigt und – durch mehrsprachige Transkripte der Videoarbeiten - Zugänge zu den gezeigten Arbeiten vergrößert. Ein Paravent trägt Scherenschnitte der Künstlerin Katja Stoye-Çetin, die mögliche Schatten hinter den Wänden in den Vordergrund holt. Die Paravents sind ungleich zarter als einige der Trennungen, die uns in den Videorbeiten begegnen: die dicken Glasscheiben von Aquarien, die für die Motten und Fliegen unerbittlich dicken Glasscheiben der Gläser unter denen sie gefangen sind, die Mauer, die das Gehege der kämpfenden Widder begrenzt, oder Atom-U-Boote der britischen Marine vor der schottischen Küste. Doch wenn Orpheus zu singen beginnt, hören die Tiere zu kämpfen auf. Ein Mythos und Bild, das Herbert Marcuse benutzt um auf die transzendierenden Kräfte der Künste zu verweisen1.
Durch die Neuordnung dessen, was ist, vermögen die Künste ein utopisches, transzendierendes Moment zu schaffen, das über die Welt, die ist, hinausweist, auf das, was sein könnte. In der Vielzahl der gebrauchten Mittel in den gezeigten Videoarbeiten der
Ausstellung scheinen die Sinne auf, die gebraucht werden können um zu sehen, zu lauschen, zu spüren und zu sein.
1 Marcuse, Herbert: Konterevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1973, S. 1121
Schon in den zwei Worten des Titels von Andrew Blacks Videoarbeit Revenge Fantasy verdichten sich Wiedersprüche: Die Fantasie, das Imaginäre wird verbunden mit dem Wort der Rache, einem gesteuerten Bedürfnis in patriarchal-kapitalistischer Logik. Das Video besteht aus verdichteten Kompositionen aus stillem und bewegtem Bild, Schrift, Zeichnung, Voice-Over, Musik und Geräuschen. Aufnahmen von Küste und Landschaft werden überlagert von Aufnahmen von Laub und Stöckchen, die aus dem Bild geweht werden.
Der Strom von Gedanken und Empfindungen, die in Schrift und Ton über das Bild gelegt sind, schaffen Situationen vom Selbst in der Landschaft: sich in der Natur ausziehen, die Pobacken spreizen, sich dem Wind und den Zecken aussetzen. Weitere Bilder zeigen die Sorge um andere (beispielsweise das Füttern von domestizierten Tieren) und sich selbst (gemeinsam eine Zecke am unteren Augenlied entfernen).
Den Affekt, den die Zecke in einer der anwesenden Personen auslöst („Töte sie! Töte sie!) nimmt die Namen der sich dem Blick entziehenden, doch anwesenden Atom-Kriegsschiffe der Britischen Marine vorweg. Sie tragen die Namen von gesteuerten Bedürfnissen, von Spektakel: Rache, Abwehr, Vorhut und Vergeltung. Und auch die Sprache im Video ändert sich, wird abwertend und verletzend (bspw. gegenüber schwuler Sexualität und Nähe). Doch das letzte Bild im Video zeigt eine Person an der Küste, die behutsam eine Einstellung mit der Kamera sucht – und verweist auf die Möglichkeit der Transformation der Welt durch Kunst.
Von der Gewinnung von Rohstoffen und der Zerstörung von Umwelt und Gesellschaft handelt TJ Cuthands Videoarbeit Extractions. Das reflektierende und fragende, sich zeigende und verletzlich-machende Voice- Over des Filmemachers beschreibt die Zerstörung Indigener Gemeinschaften und Lebensgrundlagen durch die historische und fortgeführte Kolonisierung von Land und Menschen. Dabei thematisiert er auch die ambivalente Verwobenheit zwischen Indigener Bevölkerung und Siedler*innen: So verkaufen Indigene Bevölkerungen Land zurück an Unternehmen der weißen Siedler*innen, die darauf Minen errichten und es nachhaltig zerstören. Am Beispiel des Urans, das in Kanada abgebaut und sowohl im zivilen als auch im
militärischen Bereich Anwendung findet, thematisiert der Filmemacher die globale Dimension des kapitalistisch-patriarchalen Systems.
Am Anfang des Videos gibt es eine Szene, in der aus der Aufsicht auf eine dieser Minen geschaut wird. Eine gesteuerte Explosion beginnt und läuft durch die Mine. Und dann stoppt das Bild. Die Explosion setzt wieder ein, läuft aber rückwärts. Die Umwelt bleibt vor und in der Explosion zerstört, aber die Montage verweist auf die Möglichkeit die Welt, wie sie ist, zu ändern. In diesem Sinne steht auch das hoffnungsvolle Ende des Videos, in dem der Filmemacher, seinem Wissen zum Trotz, Maßnahmen ergreift um ein Indigenes Kind zu bekommen und für es zu sorgen.
Vom Wahrnehmbaren zur Konstruktion des Wahren: In
Maxim Franks Videoarbeit History Cycle gleitet der Blick über hochaufgelöste Scans von alltäglichen und mehrteiligen, in Auflösung befindlichen Objekten (wie etwa feuchte Cornflakes), während ein Voice-Over zum leichten Rhythmus von Musik irritierende Tatsachen aufzählt: 49% von uns würden Sonnen- durch Mondlicht ersetzen, wenn wir könnten. Schätzungen zufolge sind 10% unserer Dokumente mit einem gefälschten Datum versehen. Der am häufigsten verlorene Gegenstand ist ein Ordner mit Papier. Fernsehgeräte werden immer kleiner. Aber ihre Fähigkeit, Wärme abzugeben, wächst um bis zu 10 % pro Jahr.
Die eingestreuten Versicherungen, die Tatsachen entsprächen der Wahrheit, lassen den Zweifel am Gehörten wachsen. Wie aber werden Tatsachen geschaffen? Warum verlassen wir uns auf Statistiken um die Welt zu erschließen? In History Cycle werden diese Fragen nicht beantwortet, aber die Absurdität des vermeintlich Objektiven, lenkt unseren Blick auf die alltäglichen Gegenstände und ermöglicht uns diese wahrzunehmen. In White Pearl von Alice Escher erscheint die Zukunft, das Mögliche in den Bildern der alten Welt.

Wir folgen Stimmen und Found Footage durch eine Tour de Force von Reflexionen, Objektivierungen und Begehren. Ein Motiv, dass sich in den Dialogen und den Bildern immer wieder aufspannt ist das der Außen- und Innenwelt. Das Video bebildert diese Grenzen: Das Wasserglas, das Motten und Fliegen einschließt, eine Fensterscheibe, die den Sturm abhält, Aufnahmen eines Aquariums, mit Menschen dies- und jenseits der Scheibe, einer Schneekugel, einem Wintergarten, Einfamilienhäusern, dem Blick aus einem Bus. „Die Fensterscheibe hält die Außenwelt davon ab, mir die Arterien zu zerdrücken.“ Geborgen sein, aber sich nicht darin auflösen. Im Laufe der Videoarbeit entwickelt sich das Motiv des Raumschiffs. Das Raumschiff als Behälter, als totale Institution („Ich bin dein Grab“), als bewusste Stimme eines ins brutal-groteske stilisierten Sexpuppen-Torsos, der sich von der Welt entfernt. Die Themen ändern sich, Altern und Schwerkraft werden behandelt, die Stimmen selbst mechanischer, sich wiederholend, im Loop: „Wir sind 97% baugleich.“ Und während die Behälter prekärer, älter, verrosteter werden, formuliert sich die Möglichkeit ihrer Emanzipation: „Den ersten Namen gab ihr ihr Erschaffer. Den zweiten Namen gab sie sich selbst.“
An Impossible Allegory von Matthew Arthur Williams beginnt mit einem Ausschnitt einer Fotografie, auf der zwei Männer zu sehen sind, die sehr nahe beieinander stehen, deren Körper sich berühren. Schrift blendet ein, der Beginn eines Gedichts: I am collecting the pieces / left in time / pieces that are not mine. Die Worte des US-amerikanischen Dichters R. Nemo Hill werden hier zu den Worten des Künstlers.
Die folgende Bild-Montage besingt Nähe und Berührung: Hände, die über Tüllstoff streichen, Arme, die sich halten, Füße, die auf Sand laufen, Hände, die den eigenen Torso streicheln. Auch der Sound erzeugt Nähe: wir hören das Knistern, dass Tüll macht wenn er berührt wird, die Übersteuerung des Aufnahmegeräts, das der Wind streift, Fetzen von Gesprächen. In einer dritten Ebene gibt es das Gedicht, dessen Zeilen eingeblendet werden, sich wiederholen. Wie verändert Geruch einen Raum? Was bleibt, wenn eine Liebe verloren geht? An Impossible Allegory antwortet: Nähe lässt sich nicht archivieren, ist Praxis, ist Körper, ist Hand, ist Fuß, ist Berührung, ist berührt werden, ist Sammeln und Schauen und Hören. Paravent ist die erste Ausstellung im Programm Failure, Futures, Fabrications im Gemeinschaftsraum des Kollektivs 2o46 e.V. in der Teilestr. 11-16.
Gefördert durch den Fonds Soziokultur aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR.
Text: Cornelia Herfurtner
 

The paravent is an object that keeps out the wind, creates a space in which the air stands still and that shelters from stares. The paravent has a double function In the exhibition, it marks a space within a communal room, separates and emphasizes at the same time. It also exists in a permeable form, as an element that shows the space behind it and through displaying multilingual transcripts, by which it opens up access points to the video works on display. Silhouettes by artist Katja Stoye-Çetin hang from a paravent, transporting possible shadows from behind the walls to the foreground.

The paravents are infinitely more delicate than some of the divisions we encounter in the video works: the thick glass panes of aquariums, the relentlessly thick glass panes of the jars under which moths and flies are trapped, the wall that surrounds the enclosure of fighting rams, or British Navy nuclear submarines off the Scottish coast.

But when Orpheus begins to sing, the animals stop fighting. A myth and image Herbert Marcuse uses to refer to the transcending powers of the arts1. By reordering what is, the arts are able to create a utopian, a transcending moment that points beyond the world that is, to what could be. Through the array of means used in the video works shown in the exhibition, senses are invigorated that can be used to see, to listen, to feel, and to be.

1 Marcuse, Herbert: Konterevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1973, p. 112.

In the two words Revenge Fantasy, the title of Andrew Black's video work contradictions are already condensed: the fantasy, the imaginary is connected with the word revenge, an in patriarchal-capitalist logic, controlled desire. The video consists of condensed compositions of still and moving image, writing, drawing, voice-over, music and sounds. Shots of the coast and landscape are layered with shots of leaves and sticks being blown out of the image. The stream of thoughts and sensations that is superimposed over the image, in writing and sound, create situations of the self embedded inside the landscape: undressing in nature, spreading the bum cheeks, exposing oneself to the wind and ticks. Other images show care for others (feeding domesticated animals, for example) and oneself (removing a tick from the lower eyelid with the help of others). The affect that the tick triggers in one of the people present ("Kill it! Kill it!) anticipates the names of the eluding, yet present, British Navy nuclear warships. They bear the names of controlled needs, of spectacle: revenge, repulse, vanguard and vengeance. And the language in the video also changes, becoming pejorative and hurtful (toward gay sexuality and intimacy, for example). But the last image in the video shows a person on the shore gently adjusting a shot with the camera - pointing to the possibility of the worlds transformation through art.

TJ Cuthand's video work Extractions is about the extraction of raw materials and the destruction of environment and society. The filmmaker's reflective and questioning, revealing and vulnerable voice-over describes the destruction of indigenous communities and livelihoods through the historical and ongoing colonization of land and people. He also addresses the ambivalent interconnectedness between indigenous people and settlers: Indigenous populations sell land back to white settler companies, which build mines on it and destroy it permanently. Using the example of uranium, which is mined in Canada for both civilian and military purposes, the filmmaker addresses the global dimension of the capitalist-patriarchal system.

At the beginning of the video, there is a scene in which one of these mines is shown rom an overhead view. A controlled explosion sets off and runs through the mine. And then the image stops. The explosion starts again, but runs backwards. The environment remains destroyed before and during the explosion, but the montage points towards the possibility of changing the world as it is. The hopeful ending of the video ties onto this possibility, in which the filmmaker, despite his doubts, takes action to raise and care for an indigenous child.

From the perceptible to the construction of the truth: In Maxim Frank's video work History Cycle, the eye glides over high-resolution scans of everyday objects that are segmented and dissolving (such as soggy cornflakes), while, to the light rhythm of music a voice-over enumerates irritating facts: 49% of us would replace sunlight with moonlight if we could. It is estimated that 10% of our documents have a fake date on them. The most frequently lost item is a folder of paper. Televisions are getting smaller and smaller. But their ability to give off heat is growing by as much as 10% per year.

The interspersed assurances that these facts are true increase doubt about their accuracy. But how are facts created? Why do we rely on statistics to make sense of the world? In History Cycle, these questions are not answered, but the absurdity of the supposedly objective, directs our gaze to everyday objects and allows us to perceive them.

In White Pearl by Alice Escher, the future, the possible appears in the images of the old world. We follow voices and found footage through a tour de force of reflections, objectifications and desires. A motif that reoccurs in the dialogues and the images, is that of the external and internal world. The video illustrates these boundaries: The water glass that encloses moths and flies, a window pane that keeps out the storm, shots of an aquarium, with people on this side and the other, a snow globe, a conservatory, nuclear-family homes, the view from a bus. "The window pane keeps the outside world from crushing my arteries." Feeling secure, but not dissolving into it. Over the course of the video work, the motif of the spaceship develops. The spaceship as a container, as a total institution ("I am your grave"), as the conscious voice of a sex doll torso stylized into the brutally grotesque, distancing itself from the world. The themes change, to aging and gravity, the voices themselves more mechanical, repetitive, looping: "We're 97% identical." And as the containers become more precarious, older, rustier, the possibility of their emancipation is formulated: "The first name she received from her engineer. The second name she received from herself."

An Impossible Allegory by Matthew Arthur Williams begins with a clip of a photograph showing two men standing very close to each other, their bodies touching. Writing fades in, the beginning of a poem: I am collecting the
pieces / left in time / pieces that are not mine. The words of the American poet R. Nemo Hill become the words of the artist.

The following montage of images sings of closeness and touch: hands stroking over tulle fabric, arms holding each other, feet walking on sand, hands caressing one's own torso. The sound as well creates closeness: we hear the crackling that tulle makes when it is touched, the overdrive of the recording device that the wind brushes, scraps of conversation. On a third level, there is the poem, its lines fading in, repeating themselves. How does smell change a space? What remains when a love is lost? An Impossible Allegory answers: Closeness cannot be archived, it is practice, is body, is hand, is foot, is touch, is being touched, is collecting and looking and listening.

Paravent is the first exhibition in the program Failure, Futures, Fabrications in the community space of the collective 2o46 e.V. at Teilestr. 11-16.

Supported by the Fonds Soziokultur with funds from the Federal Government Commissioner for Culture and Media within the framework of NEUSTART KULTUR.

Text: Cornelia Herfurtner